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Jasper Nicolaisens "Ein schönes Kleid"

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Jasper Nicolaisen und "Ein schönes Kleid"

Ein schönes Buch ist das, und es heißt Ein schönes Kleid. Es ist von Jasper Nicolaisen und hat eigentlich gar nichts mit SF und Fantasy zu tun, und das ist natürlich irgendwie auch wieder gar nicht wahr. Dieses schöne Buch, das „Ein schönes Kleid“ heißt, ist zwar weder SF noch Fantasy, aber so ein bisschen SF und Fantasy ist dann doch auch mit drin, klar?

Ja, sagen wir der Einfachheit halber, ist klar.

Dieses schöne Buch ist ein Roman über eine queere Familie. Jannis, der Ich-Erzähler lebt in einer Beziehung, die sich queer nennen muss, weil anscheinend immer noch eine Menge Leute mit ihrem Kopf gegen Wände stolpern, wenn Sex nicht so ist wie das, was sie für ihren Lieblingsporno halten? Oder wie auch immer, jedenfalls ist Jannis mit Levi zusammen, und Levi war einmal seine Freundin und hatte einen anderen Namen, aber das mit dem Frau-Sein hat noch nie so richtig gepasst, und deshalb hat Jannis in Levi jetzt einen Mann, und das qualifiziert die Beziehung als queer in einer Welt, die Etiketten braucht.

Das ist nun auch Jannis’ Erzählung anzumerken, dass da einer spricht, der keine Etiketten braucht, aber ständig mit ihnen umgehen muss. Allerdings bleibt diese generelle Reibung zwischen der Figur und ihrer Umwelt, zwischen der schulterzuckenden Selbstwahrnehmung und dem von außen aufgepappten Label meistens ganz unaufdringlich. Vor allem deshalb hätte ich mir vorstellen könen, das „queer“ aus dem Untertitel „Roman über eine queere Familie“ zu streichen. Aber ich sehe auch ein, dass der Queerness von außen viel zu viel unnötige Andersartigkeit zugeschrieben wird, als dass man darüber einfach hingweggehen und –sehen könnte.

Ein Paar macht noch keine Familie, richtig, und so erzählt der Roman vor allem davon, wie Jannis und Levi entscheiden, ein Kind zu bekommen, was sie alles versuchen, um ihren Wunsch Realität werden zu lassen, und wie es ihnen dann schließlich mit Valentin, ihrem Pflegesohn, ergeht. Genauer gesagt, wie es Jannis mit all dem ergeht, denn „Ein schönes Kleid“ ist ein ganz herrlich persönliches Buch. Jannis lässt den Leser/Zuhörer an seinen Erlebnissen und Gedanken teilhaben, teilt sich entwaffnend ehrlich mit.

Doch das ist schon wieder auch ein wenig unwahr, denn ganz oft teilt der Erzähler sich eigentlich nicht ehrlich mit, sondern versteckt sich bzw. seine Gefühle hinter allerlei Ironie, witzigen Bemerkungen oder besonders schlauen Gedanken. Dadurch wird die Figur allerdings nicht unsympathischer, sondern einfach nur glaubhafter, menschlicher. Über weite Strecken meint man, Jannis wäre jemand aus dem eigenen Freundeskreis, der sich einem anvertraut, der einem zwar einen Blick in sein Inneres gewähren, gleichzeitig aber auch das Gesicht bewahren will, der ständig Angst hat, zu gefühlsduselig oder kitschig rüberzukommen, und abwechselnd Scheiß drauf sagt und wieder peinlich berührt davor zurückschreckt, eine uncoole Figur zu machen.

Dieser leichte und so vertraute Tonfall macht das Buch zu einer heiteren und gleichzeitig unheimlich berührenden Lektüre. Man bekommt ordentlich zu lachen, wenn das Paar mit Kinderwunsch beim Jugendamt vorspricht oder die professionelle Erzieherin Maja in der Kita kennenlernt. Oder bei den meist irgendwie bananigen, aber ach so tiefgründigen Gesprächen mit Jannis’ bester Freundin Rahel. Da spielt Jasper Nicolaisen seinen geschmackvollen Sinn für Komik gekonnt aus. Doch dann wird der Roman auch schnell wieder leiser, introvertierter, vor allem ab dem Moment, wo Valentin die Bühne betritt. Doch auch hier bleibt immer ein feines Schmunzeln zwischen den Zeilen stehen.

Die Geschehnisse im Roman verlaufen ganz offensichtlich ganz nah an einer vorstellbaren Wirklichkeit entlang. Vieles scheint direkt aus dem Leben, aus dem Erlebten gegriffen – der Autor macht auch keinen Hehl daraus, dass es sich um einen autobiografischen Roman handelt. Und doch tauchen entscheidende Elemente auf, die sehr romanhaft oder gar fantastisch wirken. So führt Jannis Dialoge mit seinem Hund oder – in langen, komplizierten Sätzen – mit seinem nicht einmal zweijährigen Sohn. Etliche der Figuren sind überzeichnet bis an die Grenze zur Karikatur. Auf den ersten Blick wirken diese Elemente womöglich einfach nur witzig, aber eigentlich haben diese irrealen Momente eine Funktion, die man aus der Science Fiction bestens kennt: Innere – gefühlsmäßige oder gedankliche – Prozesse lassen sich durch solche Abweichungen extrapolieren, und damit sind wir wieder bei der Ironie. Wenn Jannis nicht direkt sagen kann oder will, was er denkt, dann versteckt er es hinter diesen Szenen, hinter diesen überzeichneten Figuren, die nicht aussagen, wie die Realität ist, sondern wie Jannis sie begreifen kann oder will oder muss, um sich einen Reim auf dieses queere Leben als einer von zwei Papas mit einem Kind, das ihm in den Schoß gefallen ist, zu machen. Science Fiction eben. Ganz mühelos und ohne der Heiterkeit des Romans dabei Schaden zuzufügen, bekommt „Ein schönes Kleid“ dadurch Tiefe, Plastizität und Glanz.

Ach, der Fluch des Schreibens von Rezensionen, denn mir fällt auf, wie viele Details, Ebenen und Motive ich vielleicht noch erwähnen sollte, zum Beispiel die Sache mit dem schönen Kleid, mit dem Übersetzen, mit dem Gesang der Amsel ... Aber im Grunde sind das alles Dinge, die die Leserschaft ruhig selbst entdecken kann. In diesem Buch wird bestimmt jede_r fündig, und finden wird man eine schöne Familie, ein schönes Kleid und haufenweise schöne Menschlichkeit.

 

Jasper Nicolaisen

Ein schönes Kleid

Quer Verlag, Paperback, Euro 14,90

 

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