Die Fantasy scheint heute auf den ersten Blick aus den „4 R’s“ zu bestehen – J.R.R. Tolkien und George R.R. Martin. Während Tolkien durch die Verfilmungen seiner Romane noch mal einen ordentlichen Schub bekommen hat, war sein Herr der Ringe schon vorher der Klassiker der Fantasy schlechthin. George R.R. Martins Reihe „Das Lied von Eis und Feuer“ gelangte dagegen erst durch die Fernsehverfilmung Game of Thrones zu größerer Bekanntheit – zu Recht!
Tatsächlich ist mit diesen beiden Werken schon ein ordentliches Spektrum abgesteckt – hier Tolkiens Kampf gegen das Böse, dort Martins politische Verstrickungen, sein derber Humor und seine bösen ironischen Wendungen. Gemeinsam ist den beiden das Weltenschöpfertum – und nicht nur ihnen, denn das ist eine der ganz wichtigen Traditionslinien der Fantasy, an die bis heute zahllose Autorinnen anknüpfen. Zum Beispiel Brandon Sanderson, der nicht nur packend erzählt, sondern auch einen hochoriginellen Fantasy-Kosmos erschafft, Scott Bakker und Steven Erikson, die sich beide durch eine ungeheure stilistische Wucht auszeichnen und sich nicht scheuen, ihre Leser zu fordern, Robin Hobb, die ihre ungewöhnliche Welt mit zutiefst glaubwürdigen und komplexen Figuren bevölkert, oder Kameron Hurley, die in ihrer Worldbreaker-Saga so ziemlich alle Regeln bricht.
Doch natürlich gibt es in der Fantasy auch noch andere Traditionen – zum Beispiel die maßgeblich auf Robert E. Howard und seinen Barbarenhelden Conan zurückgehende Sword&Sorcery, zu der beispielsweise auch C.L. Moore, Karl Edward Wagner, Fritz Leiber und Michael Moorcock beigetragen haben und die heute vor allem von Joe Abercrombie, Michael Sullivan, Anthony Ryan, Glen Cook, Andrej Sapkowski und Alex Marshall fortgeführt wird.
Und dann gibt es natürlich noch die zahlreichen Bücher, die sich in keine Schublade einsortieren lassen wollen – Mervyn Peakes Klassiker Gormenghast etwa, der zahllose spätere AutorInnen beeinflusste; die stilistisch herausragenden Werke von Jeff VanderMeer, Jo Walton, Neil Gaiman oder auch Guy Gavriel Kay; oder die bitterbösen, wendungsreichen und brillant erzählten Romane von K.J. Parker. Und natürlich auch die Romane von Terry Pratchett, die längst über die Fantasy-Leserschaft hinaus bekannt sind und beweisen, das gute Fantasy einen nicht nur zum Lachen, sondern auch zum Nachdenken bringen kann!
Das Vorurteil, Fantasy sei entweder ausschließlich konservative Heile-Welt-Wohlfühlliteratur oder pubertäre Machtfantasie, ist allein schon mit den bis jetzt genannten Autor*innen hoffentlich aus der Welt. Gerade in den letzten Jahren versetzt eine Woge sprachlich, konzeptionell und politisch anspruchsvoller Fantasy diesem Klischee einen weiteren harten Schlag: N.K. Jemisin bohrt in ihrer Broken-Earth-Trilogie zum Thema Rassismus genau dort nach, wo es wehtut, Seth Dickinson setzt sich in seinen Romanen um Baru Cormorant messerscharf mit den Techniken imperialer Macht auseinander, und G. Willow Wilson bearbeitet in ihrem höchst vergnüglichen Roman Alif der Unsichtbare elegant den arabischen Frühling.
Und dabei haben wir noch nicht mal an der Oberfläche gekratzt – so bekannte Namen wie Markus Heitz, Patrick Rothfuss, Trudi Canavan oder auch Ursula K. LeGuin sind noch gar nicht gefallen. Genau wie die SF lebt und atmet die Fantasy und entwickelt sich in Dutzende von Richtungen zugleich!